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21. März 2011 - EV. Kirchengemeinde / Gruppenpfarramt

Quelle: OZ, Alsfeld

„Glaube bedeutet im Islam Unterwerfung unter Gott“

Dorfwoche in Brauerschwend an drei Abenden gut besucht - Referent Selcuk Dogruer erläuterte Unterschiede zwischen Christen und Muslimen

dorfwoche-2011(red). Dem Thema Islam widmete sich die Dorfwoche des Gruppenpfarramts im Vogelsberg. An drei Abenden kamen jeweils zwischen 60 und 80 Gäste ins Dorfgemeinschaftshaus in Brauerschwend, um die Vorträge der Religionswissenschaftlerin Naime Cakir und des islamischen Theologen Selcuk Dogruer zu hören und engagiert mitzudiskutieren.

Cakir hatte zum Auftakt über muslimisches Frauenleben in Deutschland gesprochen (die OZ berichtete). Dieses spiele sich häufig im Spagat zwischen Traditionsbewusstsein und Moderne ab. Religion sei nur ein Faktor neben anderen, der bestimme, wo sich eine Muslima in Auseinandersetzung mit ihrer Kultur und der Gesellschaft, in der sie lebt, positioniert. Die individuellen Lebensentwürfe differieren im Islam ebenso wie die Auslegungen des Korans.

Insofern konnte Selcuk Dogruer am nächsten Abend an die Thematik anknüpfen: „Die gegenwärtigen Strömungen im Islam unterscheiden sich hauptsächlich in Bezug auf die Interpretation der heiligen Texte, die zu verschiedenen Auffassungen von der Gültigkeit oder Hinfälligkeit der religiösen Dogmen, der Gebote und Verbote, führt“, erklärte Selcuk Dogruer in seinem Referat. So sei zum Beispiel nach seiner Auffassung der Bart des Mannes zeitgeschichtlich bedingte Mode gewesen, die heute nicht mehr als Gebot gelte.

Die fünf Säulen des Islams hingegen, das Beten, das Fasten, das Glaubensbekenntnis, das Almosen geben und die Pilgerfahrt, seien universell zu deuten und somit für jeden Muslim verpflichtend. Beim Tragen des Kopftuches spalte sich die Auffassung, wobei die Mehrheit der islamischen Theologen es als noch heute gültige Vorschrift verstehe.

Welche Strömung sich durch welche Auslegung auszeichnet und nach welchen Kriterien die Gültigkeit der Dogmen entschieden wird, könne er in solch kurzer Zeit nicht systematisch darstellen. Zu komplex und unübersichtlich sei die Materie. Als Grund für die umfangreiche Ausdifferenzierung der Auslegungstraditionen im Islam nannte Dogruer das Fehlen einer regulierenden Instanz analog zu Papst und Konzil im Christentum.

Lediglich auf die im 19. Jahrhundert in Saudi-Arabien entstandenen Salafiten ging Dogruer etwas genauer ein. „Diese häufig in weiße Gewänder gekleidete, reaktionäre Strömung zeichnet sich durch eine starke Orientierung an Dogmen aus, nimmt den Koran wortwörtlich und strebt einen Lebenswandel an, der dem zur Zeit des Propheten vor 1400 Jahren gleicht.“ Aus ihren Reihen kämen Hassprediger.

Die DITIB, die mit rund 900 Gemeinden größte muslimische Religionsgemeinschaft in Deutschland, distanziere sich ganz klar von fundamentalistischen Strömungen wie den Salafiten. „Selbstmordattentate, Ehrenmorde und Genitalverstümmelung - dies sind alles Begriffe, die in den Medien immer wieder mit dem Islam in Verbindung gebracht werden.“ Ohne deren Vorkommen unter Muslimen zu leugnen, wies Dogruer auf Folgendes hin: „Wenn ein Bruder seine Schwester ermordet, weil er ihren Lebenswandel nicht billigt, so heißt das in den Medien Ehrenmord. Passiert das Gleiche in einer nicht-muslimischen Familie, so nennt man es Familiendrama.“ Der mediale Sprachgebrauch in Deutschland sei suggestiv und unausgewogen. Dies erschwere die Aufklärungsarbeit der DITIB enorm, bedauerte er. So sei etwa die Burka, die Vollverschleierung, bei der auch Gesicht und Hände bedeckt werden, ein vorislamisches, zeitgenössisches Kleidungsstück auf der arabischen Halbinsel gewesen und kein heute gültiges Gebot. Im Koran seien Männer und Frauen ganz klar gleichberechtigt.

Am dritten Abend zeigte Dogruer zentrale theologische Unterschiede zwischen Islam und Christentum auf. In beiden Religionen sei Gott der Schöpfer der Welt und des Menschen. Während Allah jedoch getrennt von der Welt bleibe, sei Jahwe ein Gott, der in Jesus eine Brücke zwischen sich und den Menschen errichtet habe. Glaube bedeute im Islam die Unterwerfung unter Gott. Im Christentum sei Glaube der Glaube an das Evangelium, demgemäß auf Umkehr und Buße die Vergebung Gottes folge.

Dieser Vergebung könne sich ein Christ schon zu Lebzeiten gewiss sein. Im Islam gebe es hingegen keine Heilsgewissheit für den reuigen Sünder. Jesus sei im Koran nicht der herausgehobene Sohn Gottes, sondern ein göttlich begabter und berufener Prophet neben anderen wie Mose oder Mohammed. „Gott hat Jesus geschaffen, denn Gott zeugt nicht“, so Dogruer. Gott sei vollkommen und könne daher keine Attribute der Unvollkommenheit tragen. Das Zeugen sei ein solches Attribut.

Hieran entzündete sich im Plenum eine leidenschaftliche Debatte über das unterschiedliche Gottesbild beider Religionen. „Der christliche Vater-Gott strahlt Nähe und Fürsorge aus und wendet sich in Jesus den Menschen zu, während die Worte Allahs im Koran kalt und überheblich wirken“, beschrieb eine Besucherin ihren Eindruck. „Der Koran kennt Gott nicht als Vater, weil er jegliche Vorstellung von Gott ablehnt“, so der Referent. Wie könne ein Mensch zu etwas Kontakt aufnehmen, von dem er keinerlei Vorstellung hat beziehungsweise haben dürfe, fragte eine weitere Anwesende. „Ein beschränkter Mensch mit beschränkten Mitteln und Bildern, kann niemals das Unbeschränkte beschreiben. Gott bleibt immer jenseits aller möglichen Phantasien“, wiederholte Dogruer vehement.

Auch zur Thematik Schuld und Vergebung häuften sich die Rückfragen. Dogruer wies darauf hin, dass es gemäß dem Koran keinerlei Zwang in der Religion gebe. „Jeder Mensch, der bei gesundem Verstand ist und die Pubertät erreicht hat, kann sich eigenverantwortlich für eine Religion entscheiden.“ Vor der Pubertät sei ein Kind jedoch frei von jeder Religion und Verantwortung. Kinder sind im Islam ebenso wie im Christentum willkommen bei Gott und ihres Heils gewiss.

Abschließend betonte Dogruer bei allem theologisch Trennenden doch das Gemeinsame: „In einer säkularen Welt stehen Christen und Muslime vor ähnlichen Herausforderungen. „In einer von Kommerz, Narzissmus und Säkularisierung bestimmten Welt beginnen Menschen an die unmöglichsten Dinge zu glauben“, bedauerte der Referent. Es sei elementar wichtig, der traurigen Eindimensionalität des Strebens nach Lust, Genuss und Selbstverwirklichung etwas entgegenzusetzen. Menschen wollten von etwas bewegt werden, das über sie selbst hinausreiche. Religiöse Werte und spirituelle Erfahrungshorizonte müssten daher wiedergewonnen werden, um dem Glücksstreben ein konkretes Ziel zu geben. Dies sei eine gemeinsame Aufgabe der gläubigen Christen und Muslime gleichermaßen in diesem Land und in der Welt.


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