19. November 2011 - Porträts & Personalien

Quelle: OZ Alsfeld

Monatsbeitrag von 49 800 000 000 000 Mark

Otto Kraus ist seit 73 Jahren im Storndorfer Gesangvereinen aktiv - Minutiöse Chronik des Vereins erstellt

(mp). „Dass meine Frau und ich noch lange gesund bleiben und dass wir noch lange zusammen leben können, das wünsche ich mir!" Spontan kommt dieser Satz von Otto Kraus, der täglich das Zeitgeschehen in Zeitung, Fernsehen und Radio verfolgt. Hin und wieder schreibt er sich mit seiner Enkelin in Wien eine E-Mail, mit dem Auto fährt der 88-Jährige mit seiner Frau zum Einkaufen - auch im Schnee, wie er hier in Storndorf zeitweise üblich ist.

Wichtiger Termin: Singstunde

Einer der wichtigsten Termine in der Woche ist für das Ehepaar an jedem Mittwoch um 20 Uhr im örtlichen Dorfgemeinschaftshaus: Es geht in die Singstunde. Während seine Ehefrau Frieda seit über 40 Jahren bei den Sopranstimmen zu Hause ist, sind es bei Otto Kraus bis heute 73 Jahre, dass er seine Tenorstimme für den Gesangverein „Eintracht" Storndorf erklingen lässt. Davon 30 Jahre, bis 1968, für den Männergesangverein, danach bis heute für den Gemischten Chor. Zwölf verschiedene Dirigenten sah Otto Kraus kommen und gehen. Seine jetzige Chorleiterin Beate Rheinländer hält er für die engagierteste.

Biographisches

Geboren wurde Otto Kraus in dem Haus in Storndorf, in dem er bis heute lebt. Die Eltern betrieben hier eine Landwirtschaft, die Otto Kraus bis 1962 neben seinem erlernten Beruf als Maurer bewirtschaftete. Bereits als Kind gehörte das tägliche Hüten der Kühe dazu wie der Besuch der Schule im Dorf. Während der ersten vier Jahre in der Unterklasse wurde im Übrigen keine Musik unterrichtet und kaum gesungen, in der Oberklasse bei einem anderen Lehrer - von dem es auch die erste Ohrfeige gab - standen Singen und Musizieren im Mittelpunkt.

Wehrmacht und Gefangenschaft

Mit 18 wurde Otto Kraus zur Wehrmacht eingezogen. Im Krieg verschlug es den jungen Mann bis an den Don. Nach einem Heimaturlaub wurde Otto Kraus bei Dymer durch Granatwerfer verwundet. Nach mehrmonatigem Lazarettaufenthalt und Erholung ging es aufgrund verschiedener Umstände nicht mehr nach Russland zurück. „Gott sei Dank!" ist er sich sicher, führte der Befehl nach Dänemark, wo sich Otto Kraus zur Zusammenstellung einer neuen Division einfinden musste. Hier kaufte sich Otto Kraus vor Ort in einem kleinen Geschäft eine Mundharmonika, begleitete seine Kameraden beim Singen und sorgte für bessere Stimmung in der bedrückenden Zeit. Noch immer existiert sie, die Mundharmonika. Wohl verwahrt ...

Im November 1944 geriet der Storndorfer zwischen Metz und Diedenhofen in amerikanische Gefangenschaft. Nächste Station Gefangenenlager wie Compiegne, Attichy, schließlich Zweimann-Zelte im französischen Bolbec. Hier plötzlich, wie aus dem Nichts stehen sie sich gegenüber. Die Jugendfreunde aus dem Vogelsberg - mehrere sind es. Aus demselben Dorf, aus Nachbarorten. Abgetrennt in verschiedenen „Käfigen", drückt man sich durch den eng gewickelten Stacheldraht die Hände. Gefühle, Erinnerungen, Tränen steigen hoch. Mehr geht nicht.

Weiterverlegung für Otto Kraus nach Le Havre. Am Hafen mussten die Waggons der Züge von den Gefangenen beladen werden. Einer der Waggons soll mit Mehlsäcken nach Gießen, es bietet sich eine ungeahnte Möglichkeit: Kleine Briefe wurden geschrieben, geklaute Zigaretten wurden als „Porto" für die „Weiterleiter" beigelegt. Versteckt und plattgedrückt zwischen den einzelnen Säcken, unvorstellbar - die erste Post nach Hause. Zwei Briefe kamen bei der Mutter in Storndorf an. So konnte sie das Vermisstenschreiben des Divisionskommandeurs über ihren Sohn Otto nun für nichtig erklären.

Am 17. November 1946 erreichte Otto Kraus vom Renzendorfer Bahnhof aus zu Fuß sein Elternhaus. Ein zweites Leben begann in seiner Heimat in Storndorf. In dem Dorf, über das Otto Kraus Jahrzehnte später, 1996, einen geschichtlich interessanten Videofilm erstellen würde.

Schriftführer beim Gesangverein - Träger der Zelterplakette

Mittelpunkt in seinem Leben blieben neben der Familie die Singstunden und Auftritte mit der „Eintracht" Storndorf, die Otto Kraus unter anderem 25 Jahre als Schriftführer im Vorstand unterstützte, bis 2004. In dieser Zeit erstellte er unter anderem eine minutiöse Chronik des Vereins, in den er mit 15 eingetreten war. Wie in diesen Zeiten üblich, war er durch den Lehrer angesprochen worden. Zu Beginn wurde noch im Schulsaal gesungen. Man nahm auf den Tischen Platz, die jeweiligen Stimmen, die eingeübt wurden, durften in der Klasse bleiben, die anderen mussten solange vor die Tür. „Es wurde eine geraucht und man unterhielt sich, ganz leise!"

Jahre später, als Schriftführer stellte Otto Kraus nicht zuletzt die Anträge für den Erhalt der Zelterplakette. Mitglieder des Vorstands erhielten sie 2003 während des Hessentages in Bad Arolsen zum 100-jährigen Bestehen der „Eintracht Storndorf" überreicht. All das kann man nachlesen in einem akribisch geführten Lebenslauf von Otto Kraus, der als kleines Buch mit vielen Fotos und Kopien zusammengestellt wurde. Dort findet man Aufzeichnungen. Belege, Protokolle wie das von Hand geschriebene Gründungsprotokoll des Gesangvereins. Preisabstufungen, die 1929 galten. Zum Beispiel kostete ein Strafgeld für Zuspätkommen damals 150 000 000 000 Deutsche Mark, der Monatsbeitrag betrug 49 800 000 000 000 Deutsche Mark - die Inflation ließ grüßen. 61 483 000 248 867 Mark waren genau 61,48 Goldmark zu Beginn der 1920er wert.

Fröhliche Geselligkeit erlebte Otto Kraus bei seinem Chor, Wanderungen und unvergessene Fahrten und Ausflüge. Höhen und Tiefen des Vereins, die nach dem zweiten Weltkrieg damit begannen, dass man vergeblich auf den als vermisst geltenden Chorleiter wartete. Am Ende kam die Nachricht, dass er gefallen war. Verändert hat sich immer wieder das Repertoire, heute singt Otto Kraus sogar Schlager und englischsprachige Lieder mit: „Aber, wenn es nur solche Stücke wären, wäre ich nicht mehr in der Singstunde!"

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Seit 73 Jahren Mitglied im Storndorfer Gesangverein "Eintracht": Otto Kraus

Laienspieltheater

In besonders schöner Erinnerung bleibt wohl nicht nur für Otto Kraus die Aufführung der Operette „Im weißen Rössel". Unter der Regie von Frau Vycha, die vertrieben worden war, begeisterten die Laienspieler und Sänger aus Storndorf vier Stunden das Publikum mit Darstellung und Gesang. Einen vornehmen Herrn spielte Otto Kraus, zu den langwierigen Proben brachte jeder jeweils zwei Scheite Holz mit, damit wurde einer der beiden Öfen im großen Saal vom Henkelmann eingeheizt.

Diamantene Hochzeit - Ahnenforschung

Vor wenigen Wochen feierte Ehepaar Kraus gemeinsam mit seinen beiden Töchtern, mit vier Enkeln und zwei Urenkeln seine diamantene Hochzeit. Gäste konnten dabei auch die ansprechend und sehr übersichtlich gestaltete Ahnentafel an der Wand betrachten. Eine eigene Geschichte hat sie, die Otto Kraus lebendig erzählen kann: „Das war 1937, als ein Mann übers Feld zu meinem Vater und mir herüber kam. Aus Wetzlar war er angereist und verfolgte bei seiner Ahnenforschung die männliche Linie der Familie Kraus." Eine Begegnung, die bei Otto Kraus später der Auslöser für seine eigene Ahnenforschung war. Unzählige Kirchenbücher wurden gewälzt. Sogar das Wappen der Familie Kraus wurde gefunden: in der Friedhofskappelle von Schmalkalden. Vor einem dreiviertel Jahr erhielt Familie Kraus einen Anruf von einer Dame. Es war die Urenkelin des damaligen Ahnenforschers aus Wetzlar. Kurz darauf kam sie nach Storndorf zu einem Besuch.

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